Wer dient eigentlich wem?

  • Vom 23. Juli 2024

Kürzlich las ich auf LinkedIn, unsere Daseinsberechtigung hänge davon ab, ob wir mit künstlicher Intelligenz (KI) mithalten können. Und dass die Mehrheit der Berufe, die unsere Kinder einst ergreifen werden, heute noch nicht existieren.

Bereits vor 100 Jahren ahnte niemand, dass man mit virtuellen Dienstleistungen Geld verdient. Dieses Argument sei also hinterfragt – und die mitgelieferte Lebensangst auch. Denn jede Generation stand vor unvorstellbaren Neuerungen und hat das Leben gut gemeistert. Ansonsten wären wir nicht hier.

KI ist dennoch eine Neuerung, die bei mir eher ein Stirnrunzeln auslöst. Nicht dass das etwas ändern würde. Die Neugierde des Menschen ist unersättlich. Nach dem Motto: Erst mal machen und dann abwägen.

Ich frage mich nur das:

Der Mensch scheitert schon an seiner eigenen Intelligenz. Zum Glück gibt es das Korrektiv der (Bauch-) Gefühle. Wie soll es aber werden, wenn wir unsere Intelligenz durch künstliche gar potenzieren?

Ein Kernargument pro KI ist Zeitersparnis. Was man schon jetzt beobachten kann, ist aber nicht, dass wir die gesparte Zeit schöpferisch für uns nutzen. Sondern dass wir sie mit mehr Leistung füllen (und Burn-out entwickeln). Also KI zum Preis von Lebensglück?

In jungen Jahren habe ich als Berufsanfängerin viele Sitzungsprotokolle verfasst. Heute übernimmt das eine KI. Doch haben mich die Protokolle gelehrt, das Wesentliche zu erfassen und verständlich zu formulieren. Welche Reifefelder fallen weg, wenn wir alles in künstliche Hände legen?

Ich habe nie gelernt, ein Instrument zu spielen. Doch ich praktizierte jahrelang Turniertanzen. Das bedeutete ebenfalls: Üben, üben, üben, auch in Geduld. Leidet in einer Welt, in der durch KI alles schnell verfügbar ist, unsere Geduld? Scheitern wir an unseren Erwartungen an uns selbst?

Selbst auf LinkedIn regiert ein emotionsloser Algorithmus. Ich möge darum meine Beiträge analysieren und nur das schreiben, was „meine Zielgruppe“ hören möchte. Am besten mit den Ritualen, die dem Algorithmus gefallen. Welche Algorithmen werden wohl künftig unsere Leben diktieren?

Und so hetzen wir durch die Zeit, mit der Sorge, nicht gesehen oder gemocht zu werden und nicht mitzuhalten. Einzig unseren Kindern gönnen wir es zu verweilen. Spätestens mit Schuleintritt müssen wir sie allerdings auf eine Zukunft vorbereiten, vor der wir Angst haben. Was antworten wir einem Kind, das glaubt, sein Wert hänge einzig von Technologien ab?

Ich wünsche mir, dass wir vor allem in unsere Menschlichkeit investieren, unsere Beziehungsfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Wahrnehmungsfähigkeit und Liebesfähigkeit. Und dann könnten wir Kraft unserer inneren Stimme aus der Fülle an KI jene mit Bedacht auswählen, die unserem Leben wirklich dienen.

Und ich weiß: Dieser Beitrag ist zu lang – und Sie haben keine Zeit…

Bild: Igor Omilaev (Unsplash)

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