Kinder sehen den ganzen Menschen

  • Vom 25. Juli 2024

Ich bringe meine Tochter jeden Morgen mit dem Fahrrad in die Kita. Auf dem Weg zum Fahrrad fuhr ein Junge auf einem Roller an uns vorbei.

Meine 4-jährige Tochter rümpft die Nase. „Ich mag den Jungen nicht, Mama.“

Wir kannten den Jungen nicht.

„Warum denn nicht, mein Spatz?“, fragte ich.

„Weil er so wütend guckt.“

Das hatte er tatsächlich. Ihm stand zumindest eine gewisse Anstrengung ins Gesicht geschrieben. Aber diese Nuancen erkennt man mit 4 Jahren noch nicht.

Eine banale Situation, oder?

Was Sie nicht wissen, ist, dass der Junge von dunkler Hautfarbe war.

In meinem Kopf gab es also zusätzlich zum kurzen Austausch mit meiner Tochter einen Subtext.

Sie: „Ich mag den Jungen nicht, Mama.“

Ich: „Warum denn nicht, mein Spatz?“

Subtext in meinem Kopf: „Oh Gott, er ist schwarz! Sie ist doch nicht etwa…?!“ (Der Subtext in meinem Kopf ist nicht immer politisch korrekt.)

Sie: „Weil er so wütend guckt.“

Subtext in meinem Kopf: „Gott sei dank, sie ist es nicht… Sie hat seine Hautfarbe noch nicht einmal bemerkt… Wie konnte ich nur annehmen, dass sie…“

Kinder sehen den ganzen Menschen.

Der Urgroßvater meiner Tochter war von ebenso dunkler Hautfarbe wie der Junge, der an uns vorbeigefahren ist. Ihr ist davon der (afroamerikanische) Rhythmus beim Tanzen geblieben.

Mit etwas Ironie frage ich mich, ob bei denen, die tatsächlich rassistisch sind, nicht auch etwas in den Genen mitschwimmt – von genau denen, die sie ablehnen.

Die Schöpfung hat eben Humor und meine Tochter jetzt Kitaferien. Schönen Sommer!

Bild: Sam Poullain (Unsplash)

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