Der Verzicht auf gutes Leben – und die wahren Gründe

  • Vom 27. Februar 2024

Vor einigen Jahren fuhr ich – noch in meinem alten Beruf – mit einer Vorgesetzten zu einem Kundentermin. Wir waren zu früh, gingen in ein Café und unterhielten uns. Während ich ihr zuhörte, passierte etwas, was mich damals wirklich erschrak: Ich sah in ihren Augen zwei junge Männer, maximal Teenager, in einem flammenden Inferno.

Mein erster Gedanke: Jetzt kann ich mich einliefern lassen. Ich tat es nicht, sondern hörte weiter zu und verdrängte das, was ich gesehen hatte. Bis wir am Abend mit dem Zug zurück nach Berlin fuhren. Sie hatte sich am Bahnhof eine Zeitschrift gekauft, mit einer Dokumentation über den Zweiten Weltkrieg.

Es traf mich wie ein Schlag, denn ich ahnte, dass es die jungen Männer tatsächlich gegeben hatte und stellte eine Frage: „Hat deine Familie jemanden im Zweiten Weltkrieg verloren?“ Sie war zwar verblüfft ob meiner Direktheit, aber sie antwortete: Die älteren Brüder ihres Vaters sind im Alter von 16 und 17 Jahren im Zweiten Weltkrieg gefallen.

Sie selbst war um die 50 Jahre, nicht verheiratet und hatte keine Kinder. Verstehen Sie mich nicht falsch: Jede/r darf entscheiden, wie er/sie lebt. Lebensglück kennt viele Formen und der freie Wille des Menschen ist unantastbar. Aber wenn wir entscheiden, sollten wir es in Freiheit tun, in Kenntnis der Fakten, die unserer Entscheidungsfreiheit einschränken. Kein Mann und keine Kinderseele haben Zugang zur Seele einer Frau, die bereits zwei andere Seelen trägt, um ihnen ein Stück Leben zu ermöglichen.

Meine Kollegin von damals war unfrei, denn sie trug ein schweres Erbe ihres Vaters – in Liebe. In Liebe bieten wir uns unbewusst an, die Last unserer Eltern zu tragen, damit es ihnen besser gehe. Dass das vergeblich ist, brauche ich nicht zu sagen. Als Kinder unserer Eltern gibt es nichts, was wir tun könnten, um ihr Leid zu mildern. Im Gegenteil: Wenn wir uns anmaßen, das Leid unserer Eltern auszugleichen, bezahlen wir mit unserem eigenen Leben – mit Krankheit oder eben Verzicht.

Würde ich heute noch einmal neben ihr im Zug sitzen, würde ich ihr von meiner heutigen Arbeit und der Aufstellungskunst erzählen und dass es nur einer Seelenbewegung bedarf, um das Erbe zurückzugeben, wenn sie es wollte. Das würde erstmal Unbehagen auslösen, denn wir gewöhnen uns an die Last, die wir tragen. Wir hüten sie wie ein Familiengeheimnis in einem Schatzkästchen unterm Bett.

Ich würde ihr jedoch versichern, dass die Lebensenergie, die frei würde, ihr selbst zur Verfügung stünde, für ihr eigenes Leben. Sie könne zum ersten Mal frei entscheiden – und all die negativen Züge und Symptome, die sie im Verlaufe der Zeit durch die Bürde der Last entwickelt hatte, dürften sich wandeln.

Ich bin Katja Fesselmann, Heilpraktikerin für die ganze Familie. Ich liebe das Leben und den Menschen, staune über die Phänomene, die beide hervorbringen können – und bin für Freiheit.

Foto: Julia Kadel (Unsplash)

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